Die "Moderne" Schule Franz von Liszts
Franz v. Liszt (1851–1919) betrachtete es als vordringlichste Aufgabe seiner Disziplin, der Strafrechtswissenschaft, dem Gesetzgeber als „Lehrmeisterin“ und „zuverlässige Beraterin und Führerin im Kampf gegen das Verbrechen“ zur Seite zu stehen. Um mit dem Instrument „Strafe“ einen möglichst effektiven Rechtsgüterschutz erreichen zu können, entwarf er ein ebenso umfassendes wie vielschichtiges kriminalpolitisches Programm, das aufgrund seines Nebeneinanders von liberal-rechtsstaatlichen und autoritär-repressiven Inhalten, von mild-verständnisvoller und menschenverachtend-brutaler Sprache, bis in die Gegenwart gänzlich unterschiedliche Bewertungen erfährt. Während Franz v. Liszt den einen als „unser größter Kriminalpolitiker“ gilt, trifft ihn von anderer Seite das Verdikt, „den totalen Niedergang der deutschen Strafrechtslehre“ eingeleitet zu haben.
Er löste mit seinem Programm eine europaweite Diskussion über den Zweck des Strafens und die angemessenen Mittel effektiver Kriminalitätsbekämpfung aus. Zugleich entwickelte sich das von ihm begründete „Kriminalistische Seminar“ zum Anziehungspunkt aufstrebender Wissenschaftler unterschiedlicher Couleur und Herkunft, die in den nachfolgenden Jahrzehnten als sog. „v. Liszt-Schule“ die strafrechtswissenschaftliche Diskussion im Mitteleuropa der Zwischenkriegszeit maßgeblich prägten.
Im Werk seiner Schüler spiegelte sich nicht allein die Vielschichtigkeit der Lisztschen Kriminalpolitik wider, es traten auch die Gefahren und totalitären Potentiale eines (radikal-)spezialpräventiven Ansatzes deutlich hervor.
Publikation: Koch/Löhnig (Hrsg.), Die Schule Franz von Liszts: Spezialpräventive Kriminalpolitik und die Entstehung des modernen Strafrechts, Tübingen (Mohr Siebeck) 2016.